Ich konnte es nicht ausstehen, wenn das Thermometer in der Küche -52 Grad anzeigte. Da die Fensterscheibe vereist war, war ich mir nicht sicher, ob die Anzeige stimmte. Um Gewissheit zu bekommen, schaltete ich den Rundfunk ein, um die Wettervorhersage zu hören. Damals gab es schließlich kein Internet, und das Radio war die einzige verlässliche Quelle für solche Informationen. Mit angehaltenem Atem wartete ich auf das Ergebnis – tatsächlich waren es -52 Grad. Das bedeutete, dass ich zur Schule gehen musste, denn erst bei -54 Grad durften die Schüler der elften Klasse zu Hause bleiben.
Widerwillig zog ich meine Pelzstiefel an, dann den dicken Pelzmantel und die Pelzmütze, schnappte mir meinen Rucksack und trat hinaus. Die kalte, trockene Morgenluft traf mich sofort. Nach wenigen Minuten spürte ich, wie meine Nase zu frieren begann. Meine Brille musste ich abnehmen, obwohl ich mit meinen -5 Dioptrien eigentlich schlecht sehen konnte. Sie landete in der Manteltasche, denn bei diesem Nebel und der Dunkelheit war sie ohnehin nutzlos. Zum Glück kannte ich den Weg auswendig.
Unter meinen Füßen knirschte der Schnee: Hrmm-Hrmm-Hrmm-Hrmm.
Als ich nach der Schule nach Hause kam, fand ich meinen Vater vor dem Haus. Er war dabei, Schnee vom Klumpeneis zu räumen, das neben dem Eingang lag, um es einfacher ins Haus zu bringen. Wir lebten in einem eigenen Holzhaus mit Grundstück, aber ohne Wasserleitung. Deshalb fuhr mein Vater im Winter regelmäßig zu einem zugefrorenen See, sägte dort Klumpeneis heraus, lud es auf seinen LKW und brachte es nach Hause.
Während wir uns unterhielten, stand ich daneben und beobachtete, wie geschickt er mit der Axt und dem Eis hantierte. Jedes Mal, wenn die Axt das Eis traf, klang es wie Schlittschuhe auf einer gefrorenen Fläche. Schließlich gingen wir ins Haus. Ich hielt ihm die Tür auf, während er ein Eisstück hereintrug. Mein Vater brachte es in einen kleinen Raum hinter der Küche und tauchte es in ein Wasserfass. Mit einem lauten Knall zerbrach das Eis.
Ich legte meine Winterkleidung ab und ging zum Fass. Es war fast voll – etwa 200 Liter. Ich schaute fasziniert zu, wie das Eis an der Oberfläche langsam schmolz. Es bildeten sich immer wieder neue Rinnen und Muster, was ich unglaublich spannend fand.
Mit einem Messer brach ich mir ein paar kleine Eisstücke ab, um sie in ein Getränk aus Preiselbeeren zu geben.
Ein wenig später, als der Ofen bereits ordentlich eingeheizt war, wurde es im Haus angenehm warm. Unsere Katzen, Markisa und Kescha, wollten daraufhin unbedingt nach draußen. Beide hatten kaum noch Ohren, eine Folge früherer Frostschäden. Trotz meiner Überzeugungsversuche, dass es draußen viel zu kalt sei, blieben sie stur und drängten darauf, hinauszugehen. Doch sobald ich die Tür öffnete und ihnen die eisige Luft ins Gesicht wehte, flohen sie in Windeseile zurück ins Warme.
Am Abend kehrte meine Mutter von der Arbeit heim. Wegen der klirrenden Kälte war ihr Gesicht vom Raureif überzogen: Wimpern, Augenbrauen, die Mütze auf der Stirn und sogar der Schal, der Mund und Nase bedeckte, waren von Frost umhüllt.
Beim Abendessen betrachteten wir die wunderschönen Eisblumen, die das Fenster verzierten.
Ekaterina Orlova
Dezember 2020
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Das ist eine wunderschöne Geschichte. Vielen Dank an Ekaterina Orlova!