Was lehrte mich die Taiga? Nur Freude? Nein, definitiv mehr. Es war der 30. Tag meiner Jagd, der 10. Dezember. Früh am Morgen brach ich auf, um 20 Kilometer meines Reviers zu durchqueren.
Mein Jagdgebiet erstreckte sich über 800 Quadratkilometer, weshalb ich ständig unterwegs sein musste. Für die Vorräte hatte ich eine kleine Hütte und zwei Zelte, die ich im Sommer an unterschiedlichen Stellen aufgestellt hatte.
Ich packte alles ein, was ich für die nächsten fünf Tage brauchen würde. Mein Pferd wurde gefüttert und gesattelt. Es war sehr robust und gehörte zur jakutischen Rasse, die mit ihrem kompakten Körperbau und einer Widerristhöhe von nur 150 Zentimetern perfekt an das Leben in der Kälte angepasst ist. Diese Tiere können selbst im Winter Gras unter dem Schnee freilegen und sich davon ernähren. Sie vertragen Temperaturen von bis zu –60 Grad erstaunlich gut.
Wie es Tradition ist, begleiten Hunde jeden Jäger. Meine beiden westsibirischen Laiki hießen Fox und Chak. Nachdem ich den Rudelführer an den Schweif des Pferdes gebunden hatte, brach ich auf. Auf solchen Touren machte ich für gewöhnlich keine Pausen, um Zeit und Energie zu sparen. Das Pferd wurde nach und nach müde und verlangsamte sein Tempo. Sechs bis sieben Stunden war ich so unterwegs. Zusätzliche Unterbrechungen hätten den Marsch nur weiter in die Länge gezogen.
Am Ende des Tages hatte ich 19 Kilometer zurückgelegt.
Es war bereits dunkel geworden.
„Ich muss mich beeilen“, sagte ich mir selbst.
Schließlich erreichte ich mein Zelt. Im Inneren heizte ich den Ofen an und stellte den Wasserkocher darauf. Draußen entfachte ich ein Feuer und kochte Getreidebrei für die Hunde. Ihr Fleisch besorgten sie sich meist selbst, indem sie Rebhühner oder Mäuse jagten. Das Pferd sattelte ich ab und ließ es sich erholen. Es sollte später etwa 300 Meter entfernt grasen. Währenddessen packte ich meine Sachen aus und bereitete alles für den nächsten Tag vor. Bald waren wir alle satt und bereit für die Nacht.
Die Hunde schliefen draußen. Sie bellten nicht, was ungewöhnlich war. Vielleicht waren sie genauso erschöpft wie ich.
„Das ist gut“, dachte ich, während ich mich hinlegte. „Ein erholsamer Schlaf ist genau das, was wir jetzt brauchen.“
Doch plötzlich riss mich ein Heulen aus dem Schlaf. Ich setzte mich auf und lauschte. Es waren Wölfe! Das Heulen schnitt mir durch Mark und Bein. Angst durchströmte mich. Mein Instinkt setzte ein: Angst um mein Leben. Ich spürte, wie die Kälte mir den Rücken hinaufkroch. Mit jedem weiteren Heulen kamen die Tiere näher. Es fühlte sich an, als wären sie direkt neben dem Zelt. Meine Nackenhaare stellten sich auf.
„Fox, Chak!“, rief ich nach meinen Hunden. Doch es kam keine Antwort – nur Stille.
Nach einer Weile beruhigte ich mich. Mir selbst drohte keine Gefahr. Mit meinem Gewehr und den Patronen war ich sicher. Zudem greifen Wölfe hier keine Menschen an, da Jäger stets bewaffnet sind.
Mein Pferd jedoch war nicht sicher. Das Heulen war kein gutes Zeichen. Wölfe kommunizieren auf diese Weise miteinander, um Beute aufzuspüren oder sie in Bewegung zu setzen.
„Sie jagen!“, schoss es mir durch den Kopf.
Gedanken rasten durch meinen Kopf: Was würde ich tun, wenn ich mein Pferd verlöre? Ich war 20 Kilometer von der Hütte entfernt, 60 Kilometer vom nächsten Dorf mit gerade einmal 15 Einwohnern. Dort stand mein Auto. Mit dem Pferd benötigte ich für diese 60 Kilometer zwei Tage. Meine Ausrüstung wog 30 Kilogramm, und die Schneedecke war 50 Zentimeter hoch.
Die Hunde blieben weiter still. Ohne lange zu überlegen, zog ich meine Stiefel an, schnappte mir das Gewehr und trat hinaus. Die Nacht war klar und kalt – etwa -40 Grad. Der Mond erleuchtete die Landschaft, sodass ich gut sehen konnte. Ich schoss ein paar Mal in die Luft und lauschte. Die Stille kehrte zurück. Der Frost biss in meine Nase, und ich ging zurück ins Zelt.
Am Morgen suchte ich nach den Spuren der Wölfe. Ich fand sie – drei Kilometer entfernt.
Ekaterina Orlova
Januar 2021
„Erinnerungen an meinen Vater, Jakutsk“
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